afrikanische Religionen: Priester und Heiler

afrikanische Religionen: Priester und Heiler
afrikanische Religionen: Priester und Heiler
 
In den afrikanischen Religionen kann sich zwar jeder direkt an die übermenschliche Macht wenden, er benötigt also keinen Mittler, aber nicht in jedem Fall gilt dies als ratsam: Die übermenschliche Macht kann derart mit Kraft geladen sein, dass sie für einen gewöhnlichen Sterblichen viel zu gefährlich wäre. Sie muss in richtiger Weise angesprochen und verehrt werden und ihr muss auf die richtige Art geopfert werden. Aus diesem Grund geht man zu einem Spezialisten, der durch Berufung und vieljähriges Training Erfahrung im Umgang mit dieser Macht hat.
 
In den traditionellen Kulturen Afrikas ist kaum mit Gewissheit auszumachen, wo der Bereich des Profanen aufhört und der des Sakralen beginnt. Es wird weniger an den Zufall geglaubt und dementsprechend mehr versucht man, hinter allen Vorgängen deren Ursachen ausfindig zu machen. Wenn jemand krank wird, sich ein Bein bricht, der Blitz in sein Haus einschlägt oder seine Felder von Wild verwüstet werden, geht man zum Wahrsager oder zur Heilerin, um herauszufinden, wer oder was dahinter steckt und wie man das Problem lösen kann. Die Wahrsager sind häufig gleichzeitig Heiler. Meist wird das Amt innnerhalb der Familie vererbt. Der Werdegang eines Heilers kann in verschiedene Stationen unterteilt werden. An erster Stelle steht die Berufung. Wenn zum Beispiel jemand in der Familie das Amt ausgeübt hat und vielleicht gestorben ist, geht der Ruf an eine jüngere Person der Familie - Mann oder Frau. Er oder sie beginnt sich auffallend zu benehmen, sondert sich ab, macht einen verwirrten Eindruck, geht nachts zum Grab des oder der Verstorbenen und beginnt mit den Geistern zu sprechen. Damit wird die Berufung zum Wahrsager und Heiler für die Verwandten offensichtlich. Der Berufung folgt die Lehrzeit. In der Regel muss der junge Mensch, bevor er den Beruf ausübt, für mehrere Jahre zu einem erfahrenen männlichen oder weiblichen Wahrsager und Heiler in die Lehre gehen. Die nötigen Instrumente für seinen Beruf erhält er üblicherweise von seinem Lehrmeister. Sie sind von Ethnie zu Ethnie verschieden und ungemein vielfältig. Es handelt sich dabei um Objekte, die es dem Heilenden ermöglichen, die Hilfsgeister herbeizurufen oder solche, wie etwa ein Fetisch oder eine Statuette, die es ermöglichen, Kräfte zu materialisieren. Außerdem erhält der Heiler in der Regel spezielle Kleidung, die ihn von den anderen Mitgliedern der Gesellschaft abhebt und besonders kennzeichnet.
 
Heilungszeremonien finden normalerweise außerhalb des bewohnten Raumes statt, da die Welt der Geister außerhalb, in der Savanne oder im Wald, liegt. Wenn nach Befragungen und Orakeln die Ursache der Krankheit oder des negativen Vorfalls feststeht, werden Gegenmittel verabreicht. Ob deren heilende Wirkung natürliche Ursachen hat oder nur ein Placebo-Effekt ist, lässt sich selten feststellen. Bei einem Beinbruch etwa werden bei den Bayansi, im Zwischengebiet der Flüsse Kwango und Kasai im Westen der Demokratischen Republik Kongo zwei große Schnecken aus dem Wald geholt, zerquetscht und auf das Bein gebunden, das darauf vom Heiler geschient wird. Danach bricht er einem Huhn an der gleichen Stelle das Bein und lässt es laufen. Der Patient muss für 14 Tage in eine beheizte Hütte, die er nicht verlassen darf. Sobald das Huhn wieder auf sein Bein tritt, kann auch der Patient seines wieder benutzen und laufen. Die erzwungene Ruhepause, die so lange dauert, bis das Huhn geheilt ist, hilft sicherlich auch dem Menschen bei der Heilung seines Beinbruchs.
 
Viele Heiler fühlen sich bei ihren Aktivitäten von einem Schutzgeist besessen, der sie lenkt, ihnen das nötige Wissen eingibt und aus ihnen spricht. Sie glauben oft noch nach der Zeremonie, in einer anderen Welt gewesen zu sein und nicht zu wissen, was sich in der Zeremonie genau abgespielt hat. Afrikanische Priester und Heilerinnen sind in der Regel überdurchschnittlich begabt. Sie kennen alle Nuancen und sozialen Reibungsflächen ihrer Gesellschaft sehr gut und betrachten bei jeder Behandlung zunächst das soziale Umfeld des Patienten. Der erhält erst dann Medikamente, wenn alle sozialen Spannungen in seiner Familie abgebaut sind und er wieder in seine Gruppe integriert ist. Die sozio-psychische Heilung geht hier der medikamentösen voraus.
 
Neben den Heilern gibt es noch zahlreiche andere Arten von Priestern, Charismatikern und Kultdienern. Manche Besessenheitspriester oder -priesterinnen, wie etwa in den Voodoo-Kulten, fallen auch in Trance, bevor sie mit der Heilungszeremonie beginnen. Für den Familienverband kann jeder Sippenälteste Opfer darbringen. Häuptlinge und Könige halten sich auch Spezialisten für besondere Aufgaben - um gefährliche Fetische aufzudecken, um das Land wieder fruchtbar zu machen, um bestimmte Opfer durchzuführen und um die Soldaten auf den Kampf vorzubereiten. Der offizielle Staatskult wird vielfach vom König selbst oder einer hochstehenden und einflussreichen Priesterschaft versehen. Hier haben wir es dann mit einem spezialisierten Berufspriestertum zu tun.
 
Prof. Dr. Josef Franz Thiel
 
 
Broszinsky-Schwabe, Edith: Kultur in Schwarzafrika. Geschichte — Tradition — UmbruchIdentität. Köln 1988.
 Kramer, Fritz W.: Der rote Fes. Über Besessenheit und Kunst in Afrika. Frankfurt am Main 1987.

Universal-Lexikon. 2012.

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